Der Einsatz von Web 2.0 in der universitären Lehre benötigt von Seiten der Lehrenden und der Studierenden Mut zur Kooperation.
Mit dem „Shift from Teaching to Learning“ (vgl. Behrendt 1999, 2002, Wildt 2006), der sich in der Hochschule derzeit vollzieht, verlagert sich der Fokus von Lehren und Lernen auf die „Learning Outcomes“. Anstatt sich wie in der bislang geläufigsten Form der Lehre auf den „Input“ durch den Dozenten oder die Dozentin zu konzentrieren, was auf eine starke Inhaltsorientierung hinausläuft, wird es wichtig, „den Blick (…) auf die Ergebnisse des Lernens („Output-Orientierung“, „Learning-Outcomes“) und die Strategien, mit denen sie erreicht werden“ (Wildt 2006, 2), zu lenken. Mit anderen Worten erhalten auch die Verarbeitungsmethoden und -wege der Inhalte durch die Lernenden einen höheren Stellenwert als bislang.
Gerade beim Einsatz von Methoden befindet sich das Studium durch den „Shift“ im Wandel. Die sozialen und kulturellen Aspekte des Lernens gewinnen an Bedeutung (vgl. Erpenbeck & Sauter 2007, 177), da der kommunikative Austausch, die Erkenntnis von multiplen Perspektiven sowie die Reflexion des Gelernten lernförderliche Elemente sind und verstärkt zum „Output“ beitragen können. Das Lernen in Gruppen, z.B. durch Projektarbeit, soll entsprechende Prozesse unterstützen. Die Vorteile des Gruppenlernens finden sich natürlich auch in der Anwendung von Web 2.0 wider. Beim Lernen in Netzen bzw. Netzwerken entsteht Wissen im sozialen Kontext, „findet nicht ausschließlich im Kopf des Lernenden statt, sondern basiert auf gemeinsamen Aktivitäten“ (ebd.).
Voraussetzung für das Lernen in Gruppen ist die Kooperationsbereitschaft. Studierende müssen Mut zur Kooperation beweisen, da sie es eventuell nicht gewohnt sind, gemeinsam zu lernen. Dies kann unterschiedliche Gründe haben: Es wird nicht von den Lehrenden gefördert, es steht in Diskrepanz zu den vorherrschenden Prüfungsformen (vgl. Reinmann-Rothmeier & Mandl 2001, 636), oder die Studierenden haben bereits eine Abneigung gegenüber dieser Lernform aufgrund von schlechten Erfahrungen in der Schule zum Beispiel. Unter Mut zur Kooperation verstehen wir die Bereitschaft, gemeinsam Lernziele zu entwickeln, den Weg dorthin zu organisieren, sich über Lernerfolge und -misserfolge auszutauschen und diese zu reflektieren, Konflikte zu bewältigen und entsprechend auch den Mut zur Hilfsbedürftigkeit sowie zum Fehler machen zu haben.
Die Web2.0 Praxis zeigt, dass es hier noch Entwicklungsbedarf gibt:
„Tendenziell klappt der Austausch von Informationen gut – dies sind die Studierenden gewohnt und passt in ihr Bild von Universität. Komplizierter wird es, sobald Reflexions- und Gruppenaustauschprozesse angestoßen werden sollen.“ (Sandra Hofhues)
Da es sich hier um komplexe soziale Vorgänge handelt, ist es vielleicht auch nötig, sich mit Blended Learning Szenarien zu behelfen. In Präsenz können sich Studierende, so unsere Vermutung, besser über Schwierigkeiten austauschen als über das Internet.
„Im Seminar läuft [die Zusammenarbeit] prima, wengleich es ein Blended-Learning-Szenario ist und so die Zusammenarbeit nicht ausschließlich über das Wiki läuft.“ (Oliver Tacke)
Darüber hinaus wird auch vorgeschlagen, die Gruppenarbeit stärker zu begleiten bzw. Vorgaben zu machen – auch mit dem Bewusstsein, das selbstorganisierte Lernen dadurch einzuschränken.
„Ich gebe kleinschrittige Ziele vor, die die selbstständige Entfaltung zwar etwas behindern, aber einen durchgehenden Arbeitsfluss garantieren.“ (Sarah Niemeier)
Andererseits gibt es auch neu erlebte Hochgefühle bei den Studierenden, da sie sich in der Gruppe gut aufgehoben fühlen:
„[Ich empfand die Zusammenarbeit als] Sehr positiv, es stellte sich bei mir schnell das Gefühl von „in einem Boot sitzen“ ein.“ (Svenja Vozenilek)
Auch Lehrende müssen Mut zur Kooperation beweisen. Dadurch, dass sie sich auf methodisches Neuland begeben, ist es für sie sinnvoll, sich von der lehrendenorientierten Haltung abzuwenden und sich mehr als gleichberechtigte Partner/innen der Studierenden zu betrachten. Sie geben zwar möglicherweise impulsgebenden Input, jedoch spiegeln sie im Diskurs „nur“ eine der vielen Sichtweisen wider, die im Netzwerk ausgetauscht werden. Hier könnte man auch von einem gewissen Mut zum Loslassen sprechen. Luka Peters nennt es Flexibilität, die den Lehrenden abverlangt wird:
„Partizipatorisches Lehren und Lernen verlangt nach mehr Flexibilität (besonders der Lehrenden), denn durch die forcierte selbstgesteuerte Zusammenarbeit der Lernenden können neue Situationen im Seminar entstehen, z.B. unerwarteter Diskussionsbedarf, unvorhergesehene technische Schwierigkeiten etc.“
Quellen
Berendt, B. (1999). Academic Staff Development in Europe – Relevance, Types of Programmes and Suggestions for Discussion. In UNESCO (Ed.), Vol. Vol. IV. World Conference on Higher Education. Higher Education in the 21st Century. Vision and Action. Higher Education Staff Development: A Continuing Mission (pp. 30–40). Paris.
Berendt, B. (2002). “The Shift from Teaching to Learning” – Unterstützung durch hochschuldidaktische Weiterbildungsveranstaltungen auf institutioneller, nationaler und internationaler Ebene. In J. Asdonk & L. Huber (Eds.), Blickpunkt Hochschuldidaktik: Vol. 109. Bildung im Medium der Wissenschaft. Zugänge aus Wissenschaftspropädeutik, Schulreform und Hochschuldidaktik ; Festschrift zur Emeritierung von Ludwig Huber. Dr. nach Typoskript. (pp. 175–185). Weinheim: Dt. Studien-Verl.
Erpenbeck, J., & Sauter, W. (2007). Kompetenzentwicklung im Netz: New Blended Learning mit Web 2.0. Köln: Luchterhand.
Reinmann-Rothmeier, G., & Mandl, H. (2001). Unterrichten und Lernumgebungen gestalten. In A. Krapp & B. Weidenmann (Eds.), Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch. 4., vollst. überarb. Aufl. (pp. 601–646). Weinheim: Beltz PVU.
Wildt, J. (2006). Vom Lehren zum Lernen. Zum Wandel der Lernkultur in modularisierten Studienstrukturen. In B. Berendt (Ed.), Raabe – nachschlagen, finden: . Neues Handbuch Hochschullehre. : Lehren und Lernen effizient gestalten. 2. Aufl. (pp. A 3.1). Stuttgart: Raabe.
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