Mut zur Hilflosigkeit oder Hilfsbedürftigkeit

10 09 2010

Der Einsatz von Web 2.0 in der universitären Lehre benötigt von Seiten der Lehrenden und der Studierenden Mut zur Hilflosigkeit oder Hilfsbedürftigkeit.

Verbunden mit dem Mut zur Neugierde und der Beschäftigung mit für viele ganz neuen Technologien ist auch die Notwendigkeit, Mut zur Hilflosigkeit zu haben, auch mal nicht weiter zu wissen, sich helfen zu lassen und Unterstützung an den Punkten zu erhalten, an denen man so ohne Weiteres einfach nicht weiter weiß. Mut zur Hilflosigkeit mag bei Lehrenden und Studierenden verschieden aussehen, spielt aber bei beiden Gruppen eine wesentliche Rolle.

Studierende kennen sich, wenn wir den Praxisberichten glauben, grundsätzlich gut mit den Web 2.0-Techniken aus, benötigen aber dennoch Hilfe und Unterstützung, wenn es darum geht, diese für das alleinige oder gemeinsame Lernen einzusetzen:

„Die Zusammenarbeit verhält sich von Seminar zu Seminar unterschiedlich und auch die Tools „funktionieren“ unterschiedlich gut. Tendenziell klappt der Austausch von Informationen gut – dies sind die Studierenden gewohnt und passt in ihr Bild von Universität. Komplizierter wird es, sobald Reflexions- und Gruppenaustauschprozesse angestoßen werden sollen. Hierin wird zunächst kein Sinn gesehen bzw. es ist erhebliches Eingreifen durch Lehrende/Tutoren notwendig.“ (Sandra Hofhues)

Oder, wie der Bericht von Luka Peters zeigt, die Angst vor Blamage führt zur Vorsicht beim Einsetzen der Tools für das Lernen:

Besonders die Arbeit mit dem Wiki wurde als Herausforderung bezeichnet. Wie auch beim Blog hatten manche Angst davor, sich vor anderen „zu blamieren“.“

So müssen sich Studierende vielleicht Kommilitonen oder aber ihren Lehrenden gegenüber als ahnungslos oder hilflos offenbaren. Das Einholen von Unterstützung kann Überwindung kosten, vor allem, wenn Kommilitonen als potentielle Konkurrenten oder Lehrende mehr als Prüfer denn als Lernunterstützer gesehen werden – was sicherlich auch vom Klima in der Gruppe und zwischen Lehrendem und Studierendem  abhängt. Ist es positiv, kann dies zu einer vielleicht unerwarteten Offenheit führen, wie der Praxisbericht von Luka Peters zeigt:

„Die Studierenden sind zum Teil anfangs mit einer gewissen Scheu an den aktiven, produktiven Einsatz der Anwendungen herangegangen, haben aber immer ihre Aufgaben bewältigt. Ich habe die Offenheit, mit der Fragen gestellt wurden, sehr positiv erlebt, es hatte niemand Angst sein oder ihr Gesicht zu verlieren.“

Aber gerade auch für Lehrende kann Hilflosigkeit eine fast unüberwindbare Mauer darstellen, die dann vielleicht sogar dazu führt, dass Web 2.0 gar nicht erst für die Lehre in Erwägung gezogen wird. Sich gegenüber Kollegen, einer zur Unterstützung von Lehrenden ins Leben gerufenen Einrichtung wie der Hochschuldidaktik oder der E-Learning-Einrichtung oder sogar Studierenden einzugestehen, dass man nicht weiter weiß und Unterstützung bei der Umsetzung oder Veränderung der eigenen Lehre benötigt, kann schwer sein.  Noch stärker als Studiereden sehen sich Lehrende dem Druck ausgesetzt, alles kennen und können zu müssen. Dabei sind sicherlich Grundkenntnisse vor dem  eigentlichen Einsatz in der Veranstaltung notwendig:

„Lehrender sollte natürlich Erfahrung mit Wikis haben“ (Oliver Tacke)

„Ich selber muss kompetent in der Handhabe des Werkzeugs sein, hinsichtlich der Aufgabenstellung konkret und eindeutig sein und zuverlässig Feedback geben.“
(Sandra Niemeier)

Dies wird auch von den Studierenden eingefordert, wie Svenja Vozenilek in Ihrem Bericht verdeutlicht:

„Lehrende müssen schon selbst halbwegs fit in den Anwendungen sein, die sie einsetzen wollen und dürfen nicht erwarten, dass der Input da nur von den Studis kommt.“

Die Hilflosigkeit kann aber ja beim Lehrenden nicht erst in der Lehr-Lernsituation entstehen,  sondern lange vorher: Wen frage ich, wenn ich jetzt was mit Blogs machen möchte? Ist es schlimm, wenn ich mal nicht weiß, wie man im Wiki etwas formatiert? Auch Kollegen oder hochschuldidaktische Beratung diesbezüglich in Anspruch zu nehmen, kann Mut erfordern.  Wichtig ist hierfür unserer Meinung nach nicht nur eine grundlegende Versorgung mit Weiterbildungsangeboten, sondern vor allem die individuelle Beratung der Lehrenden (vgl.  Kaltenbaek 2009, S. 385).

Kaltenbaek, J. (2009). Hochschule Online – Online lehren und lernen in der Hochschule. In L. J. Issing & P. Klimsa (Eds.), Online-Lernen. Handbuch für Wissenschaft und Praxis (pp. 367–388). München: Oldenbourg.


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4 responses

10 09 2010
Mut zur Kooperation « Hochschulballett

[…] auszutauschen und diese zu reflektieren, Konflikte zu bewältigen und entsprechend auch den Mut zur Hilfsbedürftigkeit sowie zum Fehler machen zu […]

10 09 2010
11 09 2010
Oliver Tacke

Mut zur Hilflosigkeit, ja, das scheint mir manchmal erforderlich zu sein – oder nennen wir es den Umgang mit Unschärfe. Man kann nicht alles 100%ig durchplanen und voraussehen, sondern muss sich manchmal einfach auf Situationen einlassen und sehen, was sich daraus entwickelt. Das können nämlich interessante Dinge sein, an die man selbst gar nicht gedacht hätte. Für webzwonullige Instrumente könnte das vielleicht auch heißen, dass ein Studierender einen Super-Einsatzzweck findet, an den man selbst gar nicht gedacht hatte. Oder: Man kann auch Instrumente einsetzen, die man noch nicht komplett verstanden hat; ganz ahnungslos sollte man aber sicher nicht sein.

27 09 2010
Sarah

Mut zur Hilfsbedürftigkeit (und Mut zum „sich helfen lassen“) kann ein web 2.0. Seminar erst richtig erfolgreich machen – indem man sich nämlich von anderen etwas zeigen lässt oder aber selber mutig ausprobiert und neues entdeckt.
Zuviel Hilfsbedürftigkeit allerdings ist auch nicht optimal: Wie gesagt, man sollte die Methoden wenigstens so gut kennen, dass man damit arbeiten kann – alle Funktionen perfekt zu beherrschen würde aber dem Entwicklungsprozess innerhalb des Seminars entgegen stehen!

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